Lieber Neuwagen, wir haben uns beide in den letzten Jahren weiterentwickelt und ich merke, dass unsere Lebensstile nicht mehr zusammenpassen. Doch wie soll ich mit dir nur Schluss machen?

Dazu kommt noch, dass unsere Zukunftsvorstellungen irgendwie zu unterschiedlich sind. Ich meine, du willst in der Zukunft rein elektrisch und am besten auch noch autonom fahren.

Ich will am liebsten einen  typischen V8 Klang und das Zepter nicht aus der Hand geben.

Meine Gefühle zu dir, die waren wirklich mal so richtig groß. So groß, dass ich Poster von dir an der Wand und Neuwagen-Prospekte ständig in der Hand hatte.

Ich wollte dich die ganze Zeit lang berühren und spüren, habe dich zärtlich von Hand gewaschen und stundenlang massiert. Doch diese Gefühle sind erloschen. Irgendwie sind diese Gefühle noch auf rein freundschaftlicher Basis und ich will dich auch nicht ausnutzen. Du spürst es doch auch, ich gönne dir doch nur noch alle Jubeljahre mal etwas Wellness.

Ich will dich nicht nur als temporärer Begleiter sehen, wenn da keine Gefühle im Spiel sind. Du musst selbst zugeben: Wir sind charakterlich zu unterschiedlich. Du bist so perfekt geworden, ohne Fehler, ohne Mängel.

Wenn ich einen Fehler mache, dann bügelst du ihn wieder aus. Wenn ich etwas übersehe, dann warnst du mich und selbst wenn ich mal faul bin, dann erinnerst du mich an die Sachen die ich zu tun habe.

Du wirst zugeben, dass wir uns auch nichts mehr zu sagen haben, selbst jetzt nicht – wo du wirklich mit mir sprechen möchtest und mich auch endlich richtig verstehst. Ist mir kalt, machst du die Heizung an. Habe ich Hunger, dann führst du mich zum nächste Restaurant. Okay, kochen kannst du immer noch nicht, dafür bringst du aber auch mein Blut nicht mehr so zum kochen wie früher.

Ich vermisse die Zeiten wo wir uns kennen gelernt haben. Ganz ohne technische Hilfsmittel konnten wir uns gemeinsam fortbewegen. Was haben wir nicht alles gemeinsam erlebt. Die erste gemeinsame Rutschpartie, der erste gemeinsame Urlaub und sicherlich auch der erste richtige Streit als du mal nicht so wolltest wie ich.

Ich will nun nicht sagen, dass alles schlecht ist. Mitnichten. Ich will auch nicht sagen, dass alles was du machst falsch ist. Du machst schon eine Menge richtig, denkst an die anderen und natürlich passt du auch immer darauf auf, dass es mir gut geht.

Aber will ich das? Will ich wirklich, dass du mir ständig alles machst? Deine unglaubliche Toleranz gegenüber all meinen Macken kann ich einfach nicht länger ertragen. Mit dir werde ich doch unselbstständig?

Du sagst mir doch heute schon wo es lang geht, kennst immer den besseren Weg. Wie soll das denn in der Zukunft werden? Wenn du erst einmal das Steuer übernommen hast und mich nur noch benötigst um die Steuern und den Kraftstoff zu bezahlen.

Wobei Kraftstoff nun auch ein Synonym sein kann, wer weiß schon was dich in ein paar Jahren fortbewegt. Du weißt ja selbst: “Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören – und noch schöner als jetzt kann ich es mir mit dir nicht vorstellen!” – dazu kommt ja noch die Tatsache, dass du dich auch optisch verändert hast.

Nein, du hast dich nicht gehen lassen, aber irgendwie gefällst du mir nicht mehr. Damit meine nicht nicht, dass deine letzten Gesichtliftings nicht gelungen sind, nein – aber irgendwie hast du mir mit Ecken und Kanten besser gefallen. Das ist ja Geschmacksache. Du hast ja genügend Verehrer da draußen, aber ich kann dich mir auch nicht über längere Zeit schön trinken, das würde meine Leber überfordern.

Ich möchte ehrlich sein, du bist mir inzwischen auch etwas zu schwer geworden. Klar, das liegt an den ganzen technischen Hilfsmitteln die du ständig bei dir trägst, aber das Gewicht lässt sich einfach nicht wegdiskutieren. Warum kann nicht alles so sein wie früher? Das schreibe ich wohlwissend, dass sich die Zeit nicht zurück drehen lässt. Aber hätte ich eine Zeitmaschine, dann würde ich gerne zurückreisen in die 90er Jahre. Den CD-Wechsler mit Eurodance Musik bestücken, das Mixtape ins Kassetten-Deck schieben und dann mit dir gemeinsam Musik hören. So wie früher. Aber das geht nicht mehr. Mein Lehrer hat mir immer gesagt, dass ich wenn ich groß bin nicht immer einen Taschenrechner dabei habe. Heute trage ich einen Minicomputer mit dem Wissen der ganzen Welt in meiner Hosentasche und du – mein lieber Neuwagen – bist auch intelligenter als der Lehrer von damals. Hast mehr Sensoren, mehr Technik und vor dank fest verbauter SIM-Karte bist du always online und hast somit Zugriff auf alle Lieder die man da so finden kann. Aber will ich das?

Also muss ich eine Entscheidung treffen: Ich werde dir auch in Zukunft fremdgehen und ich weiß es wird dir nicht gefallen. Das Auto wird älter sein als du, mehr geliebt, mehr gepflegt und weniger getreten. Du wirst für die alltäglichen Aufgaben benutzt und verschmutzt und ich werde dir nie wieder Spitznamen bzw. Kosenamen geben. Die Zeiten sind vorbei. So leid es mir tut.

Ich werde mir auch von dir keine Poster an die Wand hängen und Prospekte gibt es ja sowieso schon lange nicht mehr. So schön, schön war die Zeit – ich bin gefühlt für den Wechsel noch nicht so weit.

Vielleicht kommt eines Tages ja auch ein neues Fahrzeug auf den Markt welches mein Herz im Sturm erobert. Wenn Liebe im Spiel ist, dann soll man ja bekanntlich über viele Fehler hinwegsehen. Wer weiß schon was die Zukunft bringt? Aber bis dahin werde ich dich mit einem älteren Fahrzeug “betrügen”.