Der Cadillac CTS-V ist so etwas wie der BMW M5, Audi RS6 oder Mercedes-AMG E 63 – nur eben aus den USA. Dass das kein Nachteil ist, zeigt er eindrucksvoll: 649 PS aus 6,2 Litern Kompressor-beatmetem Hubraum sprechen Bände. Was der CTS-V in „Red Obsession“ auf dem Kasten hat, habe ich mir genauer angesehen. Fahrbericht.

Es war mal wieder an der Zeit. Zeit für einen richtig schlimmen Finger! Einen, der es faustdick unter der Haube hat. Und genau dazu zählt der Cadillac CTS-V. Die beste Anekdote ist wohl die des Parkplatznachbarn, der beim Aussteigen verächtlich rüber schaut. Der ältere Herr steigt aus einem Prius und blickt mit starrer Oberlippe und halb zusammengekniffenen Augen auf den Caddy und schüttelt im Ansatz den Kopf. Nun, dezent ist der CTS-V nicht. Und großartig auf das Sparen getrimmt ist er auch nicht. Aber darum geht es gar nicht, bei diesem Boliden.

Design – Bad Boy

Ein Blick und alles ist klar: Der Caddilac CTS-V ist ein Wolf und kein Schaf

Okay, zugegeben: Der rote Farbton ist nicht meine Sache. Aber es gibt den amerikanischen Kandidaten der sportlichen, oberen Mittelklasse ja auch in grau oder schwarz. Der Rest vermag klar zu gefallen. Vor allem, da man diesen Amerikaner nicht an jeder Straßenecke sieht und sich sein kantiges Exterieur wohltuend von seinen Mitstreitern abhebt. Selbstbewusst trägt er einen großen, fünfeckigen Chrom-Kühlergrill zur Schau, der unmissverständlich klarmacht, dass Cadillac in den USA immer noch DIE Nobelmarke ist. Mit der grobmaschigen Vergitterung und den großen Lufteinlässen wirkt seine Front gerade so, als würde sie einen Priu… ähm, Smart zum ersten Frühstück vernaschen. Auffällig auch das zweigeteilte Tagfahrlicht, das in den weit in die Kotflügel reichenden Scheinwerfer integriert ist und sich bis in den unteren Teil der Frontschürze zieht.

Seitlich gibt sich der Amerikaner klassisch und zeigt typische Limousinenen-Proportionen: Lange Haube, knappes Greenhouse und ein kurzes, markantes Heck. In seinen Radhäusern finden 19-Zoll-Leichtmetallfelgen Platz, die fast schon etwas schmächtig wirken. 20 Zoll würden wohl passen, doch dann würde der Querschnitt der Reifen kleiner ausfallen und der Komfort geschmälert – und das möchte man doch wirklich nicht, oder? Passt also. Das Format der Reifen – zumindest am Heck – könnte dennoch üppiger ausfallen, wobei die 295er schon nicht gerade schmal sind. Doch die 649 PS überfordern sie regelmäßig – ein Höllenspaß!

Der vierflutigen Abgas-Anlage entfleucht feinster V8-Hard-Rock

Das Heck wirkt ebenfalls etwas unscheinbarer, als die Front. Ein kantiger Kofferraumdeckel, senkrecht stehende, kastige Rückleuchten und das war es dann auch schon fast. Die Betonung liegt beim Wort „fast“! Der Cadillac CTS-V fuhr mit viel Carbon-Zierrat vor, der in Form des kecken Heckspoilers aber auch seine Berechtigung hatte. Daneben sind der Heckdiffusor und die Frontlippe aus dem edlen und leichten Material gefertigt. Gerade an der Front ist dies etwas heikel, da bauliche Verkehrsberuhigungen in Form von Krefelder Kissen echte Hindernisse für den Ami darstellen. Ganz im Gegenteil zur Auspuff-Anlage. Lässt man der 6,2 Liter V8 an, ist nicht nur die Nachbarschaft wach, sondern auch ein Grinsen auf dem Gesicht des Fahrers, das wie festzementiert an Ort und Stelle bleibt. Hinzu gesellen sich die Nackenhaare, die bei jedem Gasstoß Spalier stehen. Make V8 great again!

Interieur – Der Cadillac CTS-V ist auf Augenhöhe

Amerikaner sind schlecht verarbeitet und bieten eine billige Qualität. Danke, Stammtisch-Weisheit hervorgekramt, zur Kenntnis genommen und ignoriert. Denn diesen Unfug braucht sich der Cadillac CTS-V nicht anzuhören. Keine Spur von billig oder klapprig! Hier sitzen alle Fugen und Spaltmaße, hier findet man kaum Kunststoff. Es ist nahezu egal, wo man anfasst, über finden sich hochwertige Materialien. Die Oberseite des Armaturenbretts ist mit hochwertigem Leder bezogen und trägt geschmackvolle Ziernähte, während das Lenkrad mit griffigem Alcantara verkleidet ist – ein haptischer Genuss! Zudem wird hiermit der sportliche Anspruch des CTS-V unterstrichen.

Hier nimmt man gerne Platz: Die Recaro-Sportsitze unterstützen, aber kneifen nicht

Diesen vermögen auch die Recaro-Sportsitze zu betonen: Angenehm unterstützend gestaltet, nerven sie nicht mit übertriebener Härte. Eine Langstrecke von 800 Kilometern? Kein Problem mit diesem angenehmen Gestühl. Einzig die Schenkelauflage könnte für Großgewachsene länger bzw. ausziehbar sein. Und da wir schon beim Thema sind: Großgewachsene fühlen sich in der ersten Reihe des Caddys wohl. Die Sitze lassen einen mehr als ausreichenden Einstellbereich zu und schaffen es, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. In Sitzreihe zwei wird es für Langbeinige etwas knapp, wenn vorne Sitzriesen thronen. Sind die Vordersitze indes etwas vorgefahren, gibt es auch im Fond keinerlei Grund für Beanstandungen. Während das Gepäckabteil mit rund 400 Litern zwar recht praxistauglich ist, aber weit hinter der Konkurrenz zurück bleibt.

War sonst noch etwas? Ja! Das Infotainment. Cadillac verzichtet auf Drehrädchen, sondern montiert eine berührungssensitive Leiste, über die man streichen muss, wenn man die Lautstärke justieren möchte. Das ist zwar gewöhnungsbedürftig, stellt aber nach kurzer Zeit kein Problem dar. Ebenso, wie das Infotainment selbst. Durch einfaches Wischen, wie man es vom Smartphone kennt, scrollt man durch Menüs und findet sich gut zurecht. Erst recht dann, wenn man sein Smartphone per Kabel mit dem CTS-V verbindet: Dann aktiviert man Android Auto oder Apple CarPlay und bewegt sich in den Menüs, als hätte man nie etwas anderes gemacht. Spotify wird ebenso erkannt, wie die Kontakte oder kürzlich eingegebene Ziele in Google Maps. Das Paket passt also soweit. Wie sieht es aber beim Fahren aus? Kann der Ami – wie man es ihm ja klischeegemäß immer wieder nachsagt – nur geradeaus fahren?

Die Kommando-Zentrale gibt sich übersichtlich und hochwertig

Fahren – Anschnallen und festhalten bitte!

Das gilt es herauszufinden. Also: Zündung an, Fuß auf die Bremse und den 6,2 Liter V8 zum Leben erwecken. Ein kurzes Surren des Anlassers, gefolgt von einem dicken Grummeln der acht Pötte nimmt die Nachbarschaft in Beschlag. Würde der Achtender nicht laufen, würde man das Knacken der Halswirbel, derjenigen hören, die sich im Moment des Anlassens nach dem CTV umgedreht haben – und das sind einige!

Fahrstufe auf R und den leistungsstarken Ami sachte aus der Parklücke rangieren. Das geht ganz leicht und unaufgeregt, begleitet vom nicht besonders hochauflösenden Bild der Rückfahrkamera und einem seltsamen Gebrumme. Wo dieses herrührt? Vom Fahrersitz. Nähert man sich einem Hindernis im rückwärtigen Fahrzeugbereich, fängt die Park Distance Control nicht an zu piepsen, sondern auf der Seite des Sitzes zu vibrieren, auf der sich das Hindernis befindet. Verfügt man nicht über ein Hinterteil, das sensibel genug ist, kann man aber auch das gewöhnliche Piepsen aktivieren. Dennoch: Ein netter Gag.

Man kann nicht anders, als den anderen Verkehrsteilnehmern das Heck des Caddies zu zeigen

Aber um das Rangieren geht es doch gar nicht. …oder? Hintergrund ist, dass der Cadillac CTS-V nicht eben klein und schlank ist. Er bietet fünf Meter Fahrzeuglänge und ein Leergewicht von rund 1,8 Tonnen, die bewegt werden wollen. Und das geht ganz behände und ohne die Angst, dass die 649 PS sofort über die Kurbelwelle herfallen und das Fahrzeug quer stehen lassen. Nein, das Caddy lässt sich im Alltag ganz easy händeln und mimt auch mit seiner Fahrwerksabstimmung nicht den harten Hund. Von Hamburg nach München mit dem CTS-V? Kein Problem! Die Feder-Dämpfer-Abstimmung ist absolut gelungen, lässt einen schnell selbst durch herbe Autobahn-Kurven ziehen und behelligt keinen der Passagiere mit harten Schlägen – so soll es sein. Und damit ist den Amerikanern ein Spagat gelungen, den viele Hersteller im Bereich sportlicher Derivate nicht schaffen: Die Kombination von Komfort und Sportlichkeit. In der Regel wird gerade Letztere in den Vordergrund gestellt und macht die Boliden zu wenig alltagstauglichen Prügelknaben.

Der Caddy hingegen kann auch prügeln – aber wie! Wie er das anstellt? Zum einen mit seinem Sound, diesem unvergleichlichen V8-Geboller, das ganz seicht im Hintergrund der fetten Bose-Anlage untergeht. Tritt man sachte aufs Gas, wird der Ton rauer und macht Lust auf mehr – VIEL mehr! So viel, dass man den rechten Fuß mitsamt des Gaspedals im Teppich versenkt und sein blaues Prügel-Wunder erlebt. Der Schub sucht seinesgleichen und fühlt sich an, als wäre einem gerade ein 40-Tonner hinten aufgefahren – Brachial im allerwahrsten Wortsinn.

So brachial, dass die Traktionskontrolle auch mal im vierten Gang der 8-Gang-Automatik eingreifen muss, weil die geballte Power des Kompressor-V8 zuschlägt und die 295er Hinterräder restlos überfordert. In den niedrigeren Gängen ohnehin und bei Nässe… sprechen wir nicht drüber. Gut ist, dass die Sicherheitssysteme alle an Bord und hellwach sind. Im Sport-Mode lassen sie die Zügel aber etwas lockerer und dem Heck viel Auslauf – irre spaßfördern, wenn auch nicht unbedingt für die nichtsahnenden Beifahrer.

Supercharged! Der Kompressor entlockt dem 6,2 Liter-V8 wahnwitzige 649 PS

Die sind im Übrigen auch selten über die wahnwitzige Beschleunigung des CTS-V erfreut: In 3,7 Sekunden geht es auf 100, wenn man das Gas wohl dosiert, 200 sind ein paar Wimpernschläge später auf dem Head-Up Display zu sehen, bevor es immer so weitergeht. Und das Head-Up Display ist nicht nur ein „nettes“ Gimmick, sondern nötig. Will man es nämlich richtig wissen und geht grob mit dem rechen Pedal um, schafft man es kaum den Blick auf die hübschen digitalen Instrumente zu werfen. Und so kommt es, dass man schnell in Geschwindigkeitsbereichen ist, die jenseits von Gut und Böse sind. 250 km/h? Fühlen sich nach nichts an und sind ganz leicht aus dem Ärmel geschüttelt. Das geht bis etwa 290 km/h so weiter. Danach schaltet der Automat in eine der hohen Fahrstufen und lässt das Temperament in der langen Endübersetzung abebben. Etwas mehr als 300 km/h konnte ich erreichen, bevor der Verkehr wieder dichter wurde. An den 320 km/h Topspeed besteht aber kein Zweifel.

Fazit – Ein tränenreicher Abschied

Fit für die große Reise: Der Kofferraum verträgt viel Gepäck

Es gibt sie, diese Autos, denen man noch lange nachtrauert, wenn sie einen verlassen. Der Cadillac CTS-V ist ein solches – definitiv! Seine Leistungsentfaltung lässt sich nicht so einfach aus dem Hinterkopf spülen. Man gewöhnt sich so schnell an dieses satte Gefühl beim Beschleunigen. An die Lenkung, die man richtig anpacken muss, die aber viel Rückmeldung gibt und den großen Schlitten selbst über winklige Landstraßen behände begleitet. Oder an die tolle Fahrwerksabstimmung. An den Sound sowieso. Apropos spülen: Über den Verbrauch müssen wir natürlich reden. 20 Liter sind gar kein Problem. Darunter ist der Caddy ebenfalls bewegbar – nur reizt die Power viel zu sehr. Schade, dass der Tank rund 68 Liter fasst und man so zu häufigen Tankstopps gezwungen ist. Wobei man den Verbrauch auch in Relation zur Leistung und kleinvolumigen Motoren sehen muss – hier revidiert sich der Konsum wiederum. Genauso wie der Preis: Los geht es bei unter 100.000 Euro. Ja, kein Pappenstil! Verglichen mit der Premium-Konkurrenz à la Audi RS6, Mercedes-AMG E63 oder BMW M5 – die allesamt weniger Leistung haben… – spart man mit dem Ami gutes Geld. Zumal er sich nicht hinter seinen Mitstreitern zu verstecken braucht. Weder optisch, noch mit seinen Talenten. Okay, rot müsst er nicht sein, aber darüber kann man ja reden.